This girl is on fire!

Sophia Saller gehört definitiv nicht zu der Gruppe fatalistisch gestimmter Jugendlicher einer No-Future-Generation, welche die Bildungsmöglichkeiten nicht am Schopfe packen und resignativ in eine kollektive Zukunftslosigkeit verfallen. Im Gegenteil!

Die 1,0-Abiturientin bestand vor knapp einem Jahr ihr Mathematik-Studium an der Elite Universität in Oxford mit einem „First Class Master“, und das mit 21 Jahren! Und als ob das nicht schon herausfordernd genug gewesen wäre, katapultierte sich die gebürtige Münchnerin 2014 ganz nebenbei als Deutsche Meisterin, Vize-Europameisterin und U23-Weltmeisterin in die Herzen der Triathlonfans.

Ein Blick auf den Internetauftritt der bilingual aufgewachsenen Saller entlockte mir bereits nach wenigen Augenblicken ein „alle Achtung“. Übersichtlich, aufgeräumt, informativ, mehrsprachig und aktuell, mit einem Wort: vorbildlich. Davon könnten sich viele große Namen der Szene eine Scheibe abschneiden. Sie selbst zählt sich jedoch noch nicht dazu und betont, für sie es sei immer noch eine Ehre, mit dem „Who is Who“ der internationalen Kurzdistanzelite in der World Triathlon Series hinter derselben Startlinie stehen zu dürfen. Das passt zu der Sophia Saller, der ich vor gut drei Jahren bei den Europameisterschaften in Eilat zum ersten Mal begegnete. Schon damals trug sie mit Stolz und Würde das Nationaldress der Deutschen Triathlon Union, ohne dabei überheblich zu wirken. Bei der letztjährigen EM in Kitzbühel – ihrem allerersten Wettkampf auf der olympischen Distanz – ging ihre Ehrfurcht im Rennen sogar so weit, dass sie sich dabei unwohl fühlte, als sie zahlreiche aus ihrer Sicht bessere Athletinnen überholte. Und auch dies klingt glaubwürdig, denn bei den Olympischen Spielen in London betreute sie zwei Jahre zuvor einige ihrer Mitstreiterinnen in der Athletes Lounge als Volunteer.

Sophia-Saller_1_Janos-Schmidt_triathlon.org„Mit den Erfolgen des vergangenen Jahres im Rücken blende ich mittlerweile diese ‚Sorge’ aus, ansonsten schränke ich mich ja selbst bei dem versuch ein, die anderen Girls zu schlagen. Konkurrenz und Rivalität im Wettkampf sind wichtig und notwendig, über sich hinauszuwachsen und den letzten Kick zu bekommen, verletzte Eitelkeiten und Zickenkriege sind darüber hinaus jedoch völlig fehl am Platz“, meint Sophia Saller betont die gute Kameradschaft zwischen den meisten Sportlerinnen und kommt auf Paula Findlay zu sprechen, die ein Jahr vor bei Olympia noch zu den Topfavoritinnen zählte. „Nachdem Paula aufgrund eines langen verletzungsbedingten Leidensweges in London die Ziellinie als Letzte überquerte, verkroch sie sich tränenüberströmt in den hintersten Winkel der Lounge. Und alle Konkurrentinnen gingen zu ihr, um sie zu trösten. Das hat mich schon sehr bewegt.“

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„Race with your body to be fast, with your mind to be faster, with your heart to be unstoppable!“

Sophia Saller stammt aus einer sportlichen Familie. Ihre Mutter Susanne nahm als achtfache Deutsche Meisterin im Skilanglauf nicht nur an den Olympischen Winterspielen in Lake Placid (1980) teil, sondern wurde in der Leichtathletik 1984 auch Deutsche Marathonmeisterin. Seit mittlerweile sieben Jahren lebt Sophia mit ihren Eltern und ihren beiden Geschwistern in London. Kein Wunder, dass ihr im Verlaufe des Gesprächs immer wieder englische Wörter herausrutschen, wobei sie sich im selben Atemzug dafür entschuldigt, dass ihr kein treffenderer deutscher Ausdruck oder eine passende Redewendung eingefallen ist. Was im Alltag sicherlich keine große Hürde darstellt, wird beim Beschreiben eines technischen Problems an der Rennradschaltung schon herausfordernder, wenn ihr partout nicht das deutsche Wort für „Umwerfer“ einfällt. Über sich selbst lachen muss die 21-Jährige, wenn es in Hotels keinen „English Breakfast Tea“ gibt und sie sich darüber ärgert. „In solchen Momenten merke ich, dass ich bereits einige typische englische Eigenschaften angenommen habe, und dabei habe ich früher überhaupt keinen Tee gemocht“, erzählt Sophia mit ihrem mittlerweile leicht britischem Akzent und ergänzt, dass sie am liebsten den schwarzen Yorkshire Tea trinkt, bei dem die Milch auf jeden Fall vorher eingeschenkt werden muss. „Pünktlichkeit hingegen ist eine typisch deutsche Tugend, in England bedeutet pünktlich zu früh!“, stellt Sophia fest und lacht über die viele Zeit, die sie mit der Warterei bei Verabredungen vergeudet hat. „Auch wenn in England in den Lebensmittelgeschäften und auf den lokalen Märkten sehr variationsreiche Nahrungsmittel aus aller Herren Länder angeboten werden, ist das typische englische Essen schon sehr speziell. Ich gebe zu, ich vermisse deutsche Brötchen und Brezen!“

Ganz im Gegensatz zum regelmäßigen Trainieren in einer Trainingsgruppe mit den anderen Kaderathleten. „Während viele Einzelsportler die Squad brauchen, um sich zu Höchstleistungen zu pushen, kann ich mich auch alleine perfekt ‚abschießen’. Insbesondere beim Laufen genieße ich die Einsamkeit, brauche dabei auf niemanden Rücksicht nehmen, schalte ab und laufe mir den Kopf frei“, erklärt Sophia und beschreibt ihre individuelle Trainingsphilosophie. „Solche Läufe ‚grounden’ mich immer! Durch die Distanz zum Olympiastützpunkt in Saarbrücken entfliehe ich dem Trubel und lasse dadurch einen möglichen Leistungsdruck auch gar nicht erst an mich ran.“

Steckbrief: Sophia Saller
Geburtstag:            20.03.1994
Verein:            TV 1848 Erlangen Kiwami Team, SC Delphin Ingolstadt
Trainer:         Roland Knoll
Berufsausbildung:            Master of Science (Mathematik), University of Oxford
Homepage:            sophiasaller.eu

Erfolge
U23-Weltmeisterin, Edmonton (2014)
Vize-Europameisterin Elite, Kitzbühel (2014)
Vize-Europameisterin Mixed-Relay, Kitzbühel (2014)
U23-Deutsche Meisterin, Hannover (2014)
Deutsche Meisterin Elite, Hannover (2014)
Deutsche Meisterin Juniorinnen, Schluchsee (2013)
4. Platz ITU World Triathlon Series, Kapstadt (2015)
10. Platz ITU World Triahlon Series, London (2015)
10. Platz, Junioren-Weltmeisterschaften, London (2013)

Sophia scheint die für sich ideale Balance zwischen Studium, Hochleistungssport, Familie und Freizeit gefunden zu haben. Und daran wird sich in Zukunft wohl auch nicht viel ändern, denn seit Ende letzten Jahres erfüllt sie sich einen ihrer Kindheitsträume und begann an der University of Oxford mit ihrer Dissertation auf dem Gebiet der Kombinatorik. Selbst ein interessantes Angebot aus der Wirtschaft im Bereich „Mathematical Consultancy“ lehnte sie mit der Begründung „dafür fühle ich mich noch nicht kompetent genug“ dankend ab. „Außerdem lässt sich die Promotion besser mit dem Triathlon vereinbaren. Während des Studiums war das nicht der Fall. Auch wenn in Oxford der Sport – und das nicht nur wegen der vielen Vergleichswettkämpfe mit Cambridge – schon immer einen hohen Stellenwert genoss, war es nicht möglich, eine Prüfung mal eben auf den nächsten Termin zu schieben. In Oxford gibt es keine Privilegien für Profisportler. Der Uni ist es völlig egal, was ich nebenbei so alles mache. Es spielt auch überhaupt keine Rolle, was ich alles gelernt habe, was am Ende zählt, sind die Noten! Ich hätte mein Studium zwar für ein Jahr unterbrechen können, aber das kam für mich zu keiner Zeit infrage“, berichtet Sophia Saller. Sie betont ihr zielorientiertes Wesen. Selbst im Trainingslager nutzte Sie die freie Zeit zum Lernen. Der Mathematikerin ist es wichtig, sich nicht ausschließlich auf den Sport konzentrieren zu müssen. „In den Zahlen und Formeln finde ich genügend Abstand vom Triathlon. Beim Sport entfliehe ich dem Stress, kann perfekt abschalten, komme auf frische Ideen und habe dabei schon manch mathematisches Problem gelöst, an dem ich vorher am Schreibtisch stundenlang vergeblich hin- und hergerechnet habe“, erläutert Sophia und verrät ihre ganz persönliche „study-sport-balance“.

Als Sophia Saller nach dem bestandenen Abitur 2011 ihr Mathematikstudium aufnahm, um gleichzeitig auch ihre sportliche Karriere voranzutreiben, wurde sie von ihrem Umfeld immer mit einem „Das schaffst du nicht“ konfrontiert. Gerade in den ersten Semestern kam es ihr vor wie ein Kampf gegen die Windmühlen. Sophia erinnert sich an die vielen wohlgemeinten Ratschläge: „Wir sind hier in Oxford, beides kannst du nicht schaffen.“ ‒ „Aber wenn ich so etwas höre, bin ich erst recht bis in die Haarwurzeln motiviert. Mein täglicher Motivator ist mein Wille! Und wenn ich dann höre ‚wie schaffst du das nur?’, weiß ich, dass ich zwar nicht alles, aber sehr vieles richtig gemacht habe!“, sagt Sophia, die sich darüber freut, jeden Tag besser zu sein als am Tag zuvor.

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„Hard work beats talent until talent starts to work hard!“

Und das gilt für Sophia Saller nicht nur im Sport, sondern auch für das Studium. Aus diesem Grund wird sie die anstehende Promotion sicherlich nicht vernachlässigen. „Keine Frage, Hochleistungssport ist eine feine Sache, und gerade im Triathlon gibt es weltweit zahlreiche schöne Fleckchen, an denen trainiert und um Ranglistenpunkte gekämpft wird. Den Sport jedoch als Ausrede zu sehen, die Ausbildung schleifen zu lassen, halte ich gerade bei jungen Sportlern für sehr fragwürdig“, gibt die 21-Jährige zu bedenken. „Insbesondere dann, wenn Trainer, Vereine oder Funktionäre Druck auf den Athleten ausüben. Jeder sollte bei seiner Entscheidung bedenken, dass Sport sehr kurzlebig sein kann. Schließlich kann durch eine schwere Verletzung von heute auf morgen das Kartenhaus zusammenbrechen. Bestes Beispiel ist Paula Findlay, die 2010 und 2011 nahezu jedes Rennen in der Weltserie nach Belieben dominierte, um – nachdem sie ihr Studium unterbrochen hatte – durch mehrere Verletzungen fast vier Jahre aus der Bahn geworfen zu werden. Ich denke, man sollte es nicht übertreiben, was jedoch nicht heißen soll, dass mein Weg der einzig Richtige ist!“

Sophia Saller erwartet ein ehrliches Feedback. Knallharte Kritik ist ihr zehn Mal lieber als ein schöngeredetes Versagen. „Nur so kann ich an meinen Schwächen arbeiten. Triathlon ist nicht berechenbar, niemand kann vorhersagen, wie der Wettkampf ausgeht. Ich versuche, immer mein Bestes zu geben, nur dann kann ich mir auch nach dem Rennen nichts vorwerfen. Beim Saisonauftakt in Abu Dhabi beispielsweise habe ich den Wettkampf auf einem neuen Rennrad bestritten, das noch nicht hundertprozentig auf mich eingestellt war. Ich kann es besser, und das habe ich bereits beim Laufen gemerkt“, meint Saller und beurteilt selbstkritisch ihre Leistung. Bei ihrem nächsten Start der Weltserie in Kapstadt konnte sie mit einem vierten Platz überzeugen.

Interessanterweise fiel in dem gesamten Gespräch keine einzige Silbe über die im kommenden Jahr ausgetragenen Olympischen Sommerspiele und die bevorstehenden Qualifikationsrennen. Rio de Janeiro, so nah und doch so fern.

Auf meiner Heimfahrt hörte ich im Radio ein Lied von Alicia Keys. Die Songzeilen „she got both feet on the ground“, „so bright, she can burn your eyes“ und „they can see the flame that’s in her eyes“ erinnerten mich an einige Aussagen der U23-Weltmeisterin. Der Songtitel bringt es auf den Punkt: „This girl is on fire.“ Es bleibt zu hoffen, dass Sophia Saller auch in Zukunft so unbekümmert und mit viel Freude ihrem Hobby nachgeht wie bisher und den erforderlichen Abstand und Ausgleich vom Sport in der Kombinatorik findet. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie dann mit großer Wahrscheinlichkeit auch weiterhin im Triathlonsport für positive Schlagzeilen sorgen wird.

Text: Klaus Arendt
Fotos: Janos Schmidt | triathlon.org, Jo Kleindl | Deutsche Triathlon Union, Orca.com