Rennradfahren mal anders

Anita Horn bloggt über die Rapha Prestige Bohemia Tour und darüber, wie es war, mit einem vier Mädels starken Team 190 Kilometer durch Deutschland, Tschechien und Polen zu radeln.

Bohemia steht für unkonventionell, ungezwungen und untypisch. Und das alles trifft auf die besagte Rennradtour ziemlich genau zu – und zwar in jeglicher Hinsicht. 190 Kilometer waren geplant. Einschließlich 3.400 Höhenmeter. Im Vierer-Team mit Rennrädern. Aber das Abenteuer begann schon vor der Tour – denn die vier Starterinnen kannten sich überhaupt nicht.

Angenehm – ich heiß Anita!
Über drei Ecken habe ich mitbekommen, dass ein Canyon-Damen-Team, bestehend aus vier Nicht-Profi-Frauen, bei der Tour starten soll und eine Fahrerin fehlte. So kam es mit etwas Glück dazu, dass ich mitfahren und mit einem Leih-Ultimate sowie drei Mädels, die ich am Vorabend im Hotel das erste Mal im Leben gesehen habe, an den Start gehen konnte. Ein Honigbrötchen lang hatten wir beim Frühstück Zeit, uns kennenzulernen: gestatten, Chloe, Steffi und Becky. Anita. Den Rest würden wir in den kommenden zehn, zwölf Stunden klären. Schließlich würden wir eine Weile zusammen Rad fahren.

Fotos: Lars Schneider I www.outdoor-visions.com, Anita Horn I www.ahornzeit.de
Rebekka Kirsch I www.running-cycling-pasta.com

Equipment gut, alles gut
Morgens ab 07:30 Uhr standen 25 Teams bereit, um im 2-Minuten-Takt loszufahren. Die Stimmung war gut, denn die Rapha Prestige Bohemia war explizit kein Rennen, sondern eine Tour. Das Wetter spielte auch mit – auch wenn der Regenradar für den Nachmittag nichts Gutes versprach. „Noch 3 – 2 – 1 – los!“ Und schon rollten wir auf nassen Straßen vom nächtlichen Schauer meinem Navi nach. Von Schmilka aus ging es in Richtung Tschechien. Ich war aufgeregt. Ich bin noch nie einen GPX-Track auf einer mir unbekannten Strecke gefahren. Bisher habe ich immer nur Fahrten aufgezeichnet. Ich habe also einfach gehofft, dass die Technik und ich uns gut verstehen würden. Und dass das geliehene Rad passte. Denn 190 Kilometer ohne vernünftiges Fitting können durchaus schief gehen. Aber es lief alles rund. Rad super, Navi gut, Team top. Wir quatschen uns voran und passierten dabei Ecken wie aus dem Bilderbuch – idyllische Dörfer, verlassene Straßen, verwucherte Waldwege… und Wege, die gar keine Wege mehr waren.

Einfach kann ja jeder
Aus Asphalt wurde Schotter, aus hügeligen Straßen wurde ein abschüssiger Wust aus Laub und Wurzeln. Matsch machte sich auf den Felgen und Pedalen breit. Der erste kleine Adrenalinkick schoss uns durch die Adern. Und es sollte nicht der letzte sein. Nach ein paar weiteren Kilometern auf geteerten Straßen schickte uns das Garmin wieder auf Abwege. Diesmal umzingelt von Feldern und Wiesen über so viele spitze Steine, dass ein lauter Knall uns klar machte: diese Tour wird wirklich ein Abenteuer. Der erste Platten. Inklusive Riss im Mantel. Gut, dass der erste Powerriegel schon vertilgt war. Mit dem Papier haben wir den Mantel von innen ausgelegt. Neuer Schlauch, einen Wolf gepumpt, weitergerollt. Zweier Platten. Gleiches Rad. Ein Unbekannter eines anderen Teams hat uns geholfen. Schön, wenn man kein Rennen fährt. Alle sind nett. Die Räder haben wir dann bis zum Ende der Buckelpiste getragen – vorbei an mehreren Teams, die ebenfalls einen Platten hatten. Endlich wieder fahren. Aber nach ein paar Kilometern war die Luft wieder raus. Nicht bei uns im Team, sondern an Beckys Hinterrad. Schlauch III, Mantel II. Sicher ist sicher. Dumm nur, dass das Ventil in der Pumpe abgebrochen ist. Also Pumpe II und Schlauch IV. Denn es folgten noch drei weitere Platten. Und viele schwarze Wolken. Nur wenige Minuten später kamen erste Tropfen vom Himmel, die sich in kürzester Zeit zu Bindfäden vereinigt haben. Temperatursturz. Unwetter. Ein neuer Feldweg.

Wandern oder Radeln?
Zwischen kniehohem Weizen verlief eine Art Trampelpfad – der durch den knöcheltiefen Matsch kaum noch als Pfad zu erkennen war. Mein Navi zeigte zwar in genau diese Richtung, sagte aber gleichzeitig „bitte wenden“. Wir waren alle skeptisch, doch ich konnte die anderen überzeugen – wir bahnten uns weiter unseren Weg. Mit dem Rad auf der Schulter. Selbst mit dem Mountainbike hätte man hier kaum fahren können. Die Klicks waren mittlerweile völlig eingeschlammt, Kurbel und Bremsen überlagert von braunem Schlick. Selbst Schieben war unmöglich. Wir waren zwischen Lachen und Weinen. Und obwohl das Navi sich mittlerweile gefangen und uns angezeigt hat, dass wir tatsächlich richtig unterwegs sind, waren wir uns längst nicht mehr sicher. Denn spätestens als der Schlammpfad zu einem steilen Waldtrail ohne jegliche Radspuren der anderen Teams wurde, waren wir der Verzweiflung nahe.

Auch der Wettergott hatte kein Erbarmen
Von Fahren war längst keine Rede mehr. Einklicken ging auch nicht, weil die Schuhe völlig verklebt waren. Ewig lang fummelten wir mit aufgeweichten Stöcken und Multitools die Steine aus den Sohlen und ließen die Zeit dahin plätschern. Nach erst 30 Minuten hatten wir die rund zwei Kilometer geschafft. Aber siehe da! Eine Straße! Zivilisation! Erleichterung. Hoffnung. Wir konnten doch noch weiterfahren. Wir haben kurz unsere Getränke zur Grobreinigung der Räder genutzt. Die restliche Säuberung hat der Starkregen übernommen, der uns kurz danach auf den höchsten Gipfel des Tages begleitet hat. Wir schraubten uns von 250 auf 1.000 Höhenmeter hinauf. Alle anderen Teams kamen uns bereits entgegen. Dann gab es einen riesigen Knall. Gewitter. Es krachte und blitze direkt über uns. Wir waren in den tschechischen Serpentinen mitten in einem Waldgebiet. Kein Haus weit und breit. Ich war kurz davor ein Auto anzuhalten, um Unterschlupf für uns zu bekommen, da tauchte ein Parkplatz mit einer Bushaltestelle auf. Besser als nichts. Wir warteten. Wieder 30 Minuten vorbei. Dann beruhigte sich das Wetter und wir traten den restlichen Weg zum Gipfel an.

Nass bis auf die Haut kamen wir nach einer gefühlten Ewigkeit oben an. Noch nicht einmal 100 Kilometer auf dem Tacho. Wir schossen das Bohemia-Beweisfoto am Gipfel. Dann rollten wir im Schneckentempo wie auf einer Wasserrutsche wieder runter. Mit jedem Meter wurde es wärmer, der Himmel wurde wieder etwas heller und wir konnten endlich wieder richtig fahren. Noch könnten wir es ins Ziel schaffen. Aber wir kamen nicht sehr schnell voran. Als dann bei Kilometer 111 kurz vor Zittau plötzlich der Akku des Navis leer war, waren wir ratlos. Aufgeben war aber keine Option. Also gaben wir Schmilka im Handy ein und ließen und damit navigieren. Bis Kilometer 145 schafften wir es. Doch der nächste Starkregen brachte uns zur Einsicht. Wir würden nicht mehr bei Tageslicht ankommen und entschieden uns schweren Herzens, die Tour vorzeitig zu beenden, informierten unser Fotografen-Team und ließen uns einsammeln.

Manchmal ist es schlauer, aufzuhören
Nach 145 von 190 Kilometern und 2.500 von 3.400 Höhenmetern, weiteren eineinhalb Stunden Autofahrt und mehreren verschlungenen Kekspackungen waren wir zurück. Und trotz des Abbruchs zufrieden: wir haben eine große Challenge gemeistert. Wir haben aus vier Fremden ein Team gemacht. Wir sind jetzt Profis im Schlauchwechseln. Ich habe mir für mein Navi ein Akkupack und für mein Handy eine Regenhülle bestellt und keine Angst mehr vor schlechtem Wetter auf dem Rad. Die Challenge Roth kann kommen. Dort werde ich bei meiner ersten Langdistanz-Staffel den Radpart übernehmen. 180 Kilometer. 1.000 Höhenmeter. Im Rennen. Auf echten Straßen. Ganz konventionell. Hoffentlich trotzdem ohne Platten. Und ganz schnell.

Text: Anita Horn