Grün. Schwarz. Roth.

Die unendliche Geschichte oder Anitas Metamorphose von der Einsteigerradlerin zur aerodynamisch optimierten Zeitfahrlady.

Vor drei Jahren habe ich mein erstes Rennrad gekauft. Oder besser gesagt einen Teil davon. Ein quietschgrüner Rahmen, viel zu groß und schwer wie Beton, mit dem Schriftzug “bleifrei”. Ich war stolz wie Oskar, als dann auch zwei Räder, ein Sattel und Pedale angebracht waren und ich meine ersten Kilometer fahren konnte. Mit Turnschuhen, versteht sich.

Bei 40 Kilometern war die Luft allerdings raus. Nicht am Rad, sondern bei mir. Mein Hintern tat Anita Horn_gruenes BP Radweh und ich war kaputt. Zum Glück stellte sich schnell eine gewisse Kondition ein. Kurz darauf hatte ich meinen ersten Triathlon in der Tasche und bin sogar 30. Frau geworden. Von 32. Soweit. Von der Sprintdistanz ging es für mich steil Richtung Kurzdistanz. Wobei Olympische Distanz anstrengender klingt. Eine Woche vorher kam mir noch in den Sinn, dass ein besseres Rad besser wäre. Also “Kermit” verkauft und gegen ein gebrauchtes BMC getauscht. Wieder viel zu groß. Aber immerhin hatte ich jetzt Klicks. Ich fühlte mich wie ein Profi.

 

Die unendliche Geschichte
Plötzlich schaffte ich 60-70 Kilometer. Diese Strecken waren regelrecht einschläfernd. Leider nur für meine Hände und Füße. So führte mich der nächste Weg zum Bike-Fitting. Ich hatte mal Anita Horn_Ridley Raddavon gehört und fand die Idee, meine Sitzposition zu optimieren und die Schuhplatten richtig zu setzen, ganz attraktiv. Und siehe da: meine Touren wurden endlich dreistellig und ich wusste, 90 Radkilometer im Wettkampf kriege ich hin. Traditionsgetreu habe ich mich eine Woche vor der ersten Mitteldistanz allerdings wieder für ein neues Rad entschieden. Ein Ridley Liz. Werksneu und wunderschön: rot, aus Carbon, stromlinienförmig. Ich taufte es “Sir Ridley” und spendierte uns ein neues Fitting. Wahnsinn, worauf man so achten sollte. Knie im Lot, Hüfte stabil, Druckpunkt unter dem Fuß, Aeroposition möglichst kompakt. Ich hätte vermutlich nur geguckt, ob meine Finger an die Bremsen passen. Aber so war es schon besser. Ich bekam richtig Spaß am Fahren. Meine Zeiten wurden weiter besser. Und da wurde mir klar: diese Sache mit dem Fahrrad ist eine unendliche Geschichte.

Das Material kann immer leichter, die Position immer besser, der Preis immer höher sein. Nach oben hin ist alles drin. Und ich fürchte, ich bin gnadenlos infiziert. Meine nächsten Projekte hießen somit Zeitrad und Langdistanz. Als Staffel. Aber immer der Reihe nach. Bevor ich tausende Euro investieren würde, wollte ich es ausprobieren. Und nach zahlreichen Emails war klar: ich kriege was ich will: Feuer unterm Arsch.

Die Zeitmaschine
Ich bekam ein Zeitrad auf Zeit. Wieder mal kurz vor dem nächsten Wettkampf, dem Traditionstriathlon schlechthin: der Challenge Roth. Es kam in einem überdimensionalen Paket. Ich hätte dreimal reingepasst. Ehrfürchtig stand ich nun also vor ihm, vor einem nagelneuen Quintana Roo PR6. Ich taufte es “Black Beauty”. Dieses edle Schwarz, diese Ausstrahlung. Direkt am nächsten Tag ging es wieder zum Fitter. Nur zehn Radminuten von mir ist “Pro Athletes”. Und diese Strecke reichte, um zu merken, dass da noch einige Schrauben zu drehen galt. Gibt es für sowas eigentlich Zehnerkarten? David neigte den Sattel weiter nach vorne und zog die Pads vom Aerolenker näher heran. Nur wenige Millimeter und das Rad fühlte sich an wie Sahne. Die Jungfernfahrt war allerdings eher wie Dickmilch. Ich wollte eine Freundin in Düsseldorf besuchen. Von Köln aus nur 60 Kilometer. Aber ein Zeitrad im Stadtverkehr bringt ungefähr genau so viel wie eine Kaugummifüllung beim Zahnarzt. Die Aeroposition war unmöglich. Ich musste immer bremsbereit sein und das aufrechte Sitzen brachte meinen Hintern zum Glühen. Zeiträder sind wahrlich nicht für Kaffeefahrten gemacht. Immerhin lernte ich ausgiebig das Schalten mit der Ultegra. Umgreifen will eben auch gelernt sein.
Meine Challenge. Mein Ironman.

Ein paar Tage später folgten meine ersten 180 Kilometer an einem Tag. Nach einer 150-km-RTF mit je 15 Kilometern An- und Abfahrt (=180 km mit Ess-Unterbrechungen) und einer 100-km-Testtour mit Knallgas und Kuchenpause war meine Vorbereitung für Roth abgeschlossen. Noch schnell üben, wie man die Hochprofilfelgen aufpumpt, dann parkte ich das Rad in der Wechselzone und verabschiedete mich bis zum nächsten Tag. Raceday. Nach ein paar Startschwierigkeiten wegen Stress mit der Aeroflasche konnte ich mich auf den Aerolenker hängen und treten, was das Zeug hielt. Zumindest bis ich bei Kilometer 90 die erste Runde rum und Krämpfe in den Füßen hatte. Scheiße, wir haben das Rad gefittet, aber nicht die Schuhe! Ich dachte mir wäre ein Laster über die Flossen gefahren. Und nun? Zähne zusammenbeißen, weitermachen. Runde zwei. Meine Po-Knochen waren mittlerweile mit dem Sattel verschmolzen. Mein Sitzfleisch wurde nach und nach zu Hack. Egal. Nur noch 50 Kilometer. Der Solarer Berg und ein paar Pläuschchen mit einem mittlerweile lieb gewonnenen Leidensgenossen brachten mich über weitere 20 Kilometer.

Anita Horn_Zeitrad QR_marathon.com

Spätestens hier wurde mir klar: 180 Kilometer sind nicht einfach zwei Mal 90 Kilometer. 180 Kilometer im Rennen sind verdammt lang. Ich habe im Leben noch nie soviel getrunken und mir so viele Gels kredenzt. Ich habe mental noch nie so gekämpft. Und ich habe noch nie 5:45 Stunden durchgetreten. Ich habe während des Rennens nicht mehr daran geglaubt, dass ich es wirklich schaffe und ich habe danach sofort gesagt, dass ich sowas niemals wieder machen würde. Aber die Einsicht kam schneller, als Frodo bei seiner neuen Weltbestzeit angerauscht: ich will mehr! Was Neues. Ich will meine eigene Langdistanz. Und kaum habe ich eingesehen, dass ich das wohl erst meine, war ich auch schon angemeldet. Zeit genug diesmal rechtzeitig ein neues Rad zu organisieren. Am 9. Juli 2017 geht es ans Eingemachte. Zwar nicht in Roth. Aber vielleicht in rot. Oder schwarz. Oder grün.

Text: Anita Horn
Fotos: marathon-photos.com und privat