Mentaler Umgang mit Verletzungen

Verletzt oder krank zu sein, ist für unseren Körper nicht nur physisch schmerzvoll, auch unser Kopf muss Schwerstarbeit verrichten. Daniela Dihsmaier ist Mental-Trainerin und musste selbst schon etliche gesundheitliche Tiefschläge verarbeiten. Sie weiß daher genau, wie man mit solchen Situationen umgeht.

„Es nervt mich, dass ich gerade nicht trainieren kann, wie ich will! Ich hatte so viele Pläne und war gerade so fit! #nevernotrunning.“ So oder so ähnlich lese ich häufig Posts in den sozialen Medien, und ganz ehrlich, wenn ich mich verletzt habe oder erkrankt bin, habe auch ich traurige Gedanken. Das ist völlig normal. Ein Athlet, der aufgrund einer Verletzung oder Krankheit nicht trainieren kann, ist daher schnell im negativen Stress. Anhaltender negativer Stress schadet uns langfristig und beeinträchtigt dadurch auch unsere Gesundung negativ. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass wir nach dem ersten Schock Wege finden, uns zu beruhigen. Doch wie gelingt uns das am besten?

Stress mental beeinflussen

Richard Lazarus hat bereits in den 60er-Jahren das transaktionale Stressmodell entwickelt. In mehreren Experimenten konnte er nachweisen, dass wir die Intensität von Stress mental beeinflussen können. Er zeigte Versuchspersonen einen Film über rituelle Genitalverstümmelungen bei Aborigines. Auch ohne Ton erzeugte der Film Stress. Lazarus nahm als Maßstab dafür die Veränderung der Hautleitfähigkeit. Als er in einem weiteren Experiment mit Probanden den Film verharmlosend kommentieren ließ, fiel die allgemeine Stressreaktion schwächer aus. Er führte ein drittes Experiment durch, indem er bereits vor dem eigentlichen Filmbeginn einen verharmlosenden Kommentar hinzufügte. Die derart beeinflussten Versuchspersonen zeigten die geringste Stressreaktion (Lazarus/Alfert, 1964; Lazarus et al., 1965).

Der Grad der Stressreaktion steigt dabei linear zur wahrgenommenen Bedrohung an. Wenn wir unsere Gedanken so steuern, dass wir gelassener mit uns selbst sprechen und damit mit der Situation besser umgehen können, dann schaffen wir den Sprung zu einem besseren Umgang mit Zwangspausen und (sportlichen) Krisen.

„Die Voraussetzung, um Stress zu reduzieren ist, dass wir unsere Erregung und den bei vielen Triathleten gut trainierten Kampfgeist reduzieren, um ein emotionales Aufschaukeln zu vermeiden.“

 

Ob etwas zum Stress wird, hängt von unserer Bewertung der Situation ab. (Graphik/”Brutal Mental”)

Umgang mit negativem Stress –
eine Anleitung

Lazarus unterscheidet drei Phasen: primäre Bewertung, sekundäre Bewertung und Neubewertung (Jerusalem, 1990).

Phase 1: Bewertungsphase

Ob wir etwas als Stress wahrnehmen, ist sehr individuell und maßgeblich davon abhängig, wie wir die gesamte Situation individuell bewerten.

Das bedeutet, dass es bei Triathleten bei Verletzungen oder Erkrankungen zu Stressreaktionen kommt, weil wir jene als bedrohend für unsere Wettkampfsaison und unsere sportlichen Ziele ansehen. Je nachdem, wie viel durch die Verletzung oder Erkrankung nach eigenem Ermessen auf dem Spiel steht, steigt das Stressgefühl mehr oder weniger stark. Manchmal genügt es schon, wenn ich mit Athleten genauer hinschaue: Wie viel steht denn wirklich auf dem Spiel? So wird eine kurze Erkältung schnell als harmlos entlarvt, und die Zwangspause kann als Auftankphase umgedeutet werden. Doch es gibt auch Situationen, in denen einiges auf dem Spiel steht: im schlimmsten Fall die körperliche Unversehrtheit, bei sehr ambitionierten Sportlern und Profis womöglich eine WM- oder Olympia-Teilnahme oder manchmal auch einfach der persönliche Lebenstraum, auf den lange hingearbeitet wurde. In diesen Fällen ist Phase 2 entscheidend. Wir schauen erneut auf die Situation (sekundäre Bewertung) und suchen nach Bewältigungsstrategien:

Phase (2): Bewältigungsphase / sogenanntes „Coping“

Wesentlich für das weitere Stressniveau ist, inwieweit die Person ausreichend Ressourcen hat, um die Situation zu bewältigen.

Im Lauf der Krisenphase wägen wir unbewusst ab, inwieweit wir das mit eigenen Ressourcen bewältigen können. So wird der Stress

  • zur Herausforderung in Situationen, die bewältigbar erscheinen,
  • zur Bedrohung bei einem zu erwartenden Schaden (zum Beispiel möglichen bleibenden körperlichen Einschränkungen) oder
  • zur Schädigung/Verlust, wenn der Schaden bereits eingetreten ist (beispielsweise dauerhafte Behinderung). (Schützewohl, 2011)

Wenn wir uns in der Bewältigungsphase befinden, werden von uns Handlungen abgewogen und Strategien gesucht, mit denen die Stresssituation gemeistert werden kann. Es gibt im Prinzip zwei Arten der Stressbewältigung: Erstens die problemorientierte und zweitens das emotionsorientierte Coping.

Problemorientiertes Coping

Fallbeispiel: Als ich mir Ende Oktober 2017 den Mittelfuß bei einem blöden Sprung auf den Bordstein brach, ärgerte ich mich natürlich. Gleichzeitig ratterten in meinem Kopf sofort die Gedanken: „Was mach ich jetzt am besten?“ Ich suchte mir die besten Ärzte, die ich finden konnte. Als ich nach der Operation weiterhin starke Schmerzen im Fuß hatte und nicht auftreten konnte, befragte ich mehrmals einen niedergelassenen Orthopäden, doch er konnte mir nicht weiterhelfen. Er ging davon aus, dass ich einen chronischen Schmerz entwickelt hatte. Ich suchte mir während der Zeit der Ungewissheit Rat. Ich las ein Buch zu diesem Thema und kam immer mehr zu dem Schluss: Das ist kein chronischer Schmerz. Auch meine Physiotherapeuten bestärkten mich darin, es nicht als Dauerschmerz zu akzeptieren. Also ging ich zu den mich operierenden Ärzten ins Krankenhaus zurück. Es kostete mich viel Überzeugungsarbeit und Arzttermine. Doch ich vertraute auf mein Körpergefühl. Nicht aufgeben, dein Körpergefühl sagt dir, da stimmt etwas nicht. Ich behielt recht: Die Schraube hatte mich – aufgrund meines sehr schmalen Fußes – an der Sehne gerieben. Nachdem ich die Ärzte im Krankenhaus überzeugen konnte, erhielt ich zeitnah einen OP-Termin, und sie bestätigten mir noch im Aufwachraum meine These. Die Schmerzen sind seit der Schraubenentnahme weg. Ich hatte meinen Stress problemorientiert gelöst.

Emotionsorientiertes Coping

Doch manchmal lässt sich das Problem nicht lösen oder ändern, etwa wenn eine Behinderung oder ein Problem bestehen bleibt und ein Ankämpfen gegen das Problem nichts (mehr) bringt. Dann brauchen wir mehr Gelassenheit oder eine neue Perspektive. Hierbei wird in erster Linie versucht, die eigene Einstellung zu verändern.

2005 trat ich in München meine neue Arbeitsstelle an. Leider war der Umzug am Vortag sehr stressig, da die Vormieterin noch nicht aus der Wohnung war und es somit bis zum späten Nachmittag dauerte, ehe ich einziehen konnte. Weit nach Mitternacht war mein Umzug endlich abgeschlossen, ich fiel ins Bett und mich erwartete gleich am nächsten Morgen ein langer erster Arbeitstag. Als ich abends endlich nach Hause kam, hatten bereits alle Lebensmittelläden zu, und ich fand daheim nur ein altes Brötchen. Ich schnitt das harte Brötchen mit einem neuen Messer auf, rutschte ab und durchtrennte mir den Ulnaris, einen Hauptnerv der Hand. Da es trotz Notaufnahme lange dauerte, bis die Ärzte das herausfanden, lebe ich seitdem mit einer dauerhaften Behinderung an der linken Hand. Die OP, die erst zwei Monate später erfolgte, kam zu spät. Am Anfang konnte ich die Hand kaum mehr einsetzen, Gitarre spielen war nicht mehr möglich. Tassen fielen mir einfach aus der Hand. Ebenso hatte ich die Fingerfertigkeit verloren, um beispielsweise den Reißverschluss bei meinem Geldbeutel zu öffnen. Die Diagnose, dass das bald Arthrose verursachen würde, gefiel mir gar nicht. Ich habe viele Nächte wach gelegen, mir Vorwürfe gemacht, wollte es nicht akzeptieren und habe geweint. Ich wollte es nicht wahrhaben und am liebsten weiter gegen diese Behinderung kämpfen. Fotos, auf denen meine unversehrte Hand zu sehen war, nahmen mich mit. Dann begann ich, meine Einstellung zu ändern. Ich befragte Ärzte, was ich machen könne, um die Arthrose zu vermeiden oder zu verzögern. Und wie ich meine Finger trainieren könne. Sie empfahlen mir eine Ergotherapie und Schwimmen. Ich lernte bei der Ergotherapie mit den neuen Besonderheiten meiner Hand umzugehen. Heute merkt kaum mehr jemand bei Alltagstätigkeiten meine Einschränkung. In der Schule mochte ich Schwimmen überhaupt nicht. Doch weil die Muskulatur in Hand und Arm nach diesem Unfall so schnell abbaute, meldete ich mich bei einem Kraulkurs für Anfänger an. Ich hatte mir dafür mit meiner Ergotherapeutin eine spezielle Schiene für die Hand gebastelt. So kam ich zum Triathlon. Ich merkte schnell, dass ich Talent hatte – trotz meiner Hand. Von nun an machte ich das Beste aus meiner neuen, nicht mehr zu ändernden Situation.

Umdenken als Lösungsansatz

Wer etwas nicht ändern kann, dem bleibt nur das Umdenken. Das ist die andere Dimension der mentalen Stärke. Manchmal hilft uns das Ankämpfen gegen ein Problem nicht weiter. Es braucht eine neue Sicht auf die Stresssituation. Die Voraussetzung ist, dass wir unsere Erregung und den bei vielen Triathleten gut trainierten Kampfgeist reduzieren, um ein emotionales Aufschaukeln zu vermeiden. Stattdessen gilt es, die Situation zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen. Wenn wir erwarten, stressreiche Situationen „durch eigenes kompetentes Handeln unter Kontrolle bringen zu können“, beeinflusst das unseren Stresspegel sehr positiv. Wissenschaftler sprechen dann von der Selbstwirksamkeitserwartung (Schwarzer, 2000).

Phase 3: Neubewertung

Natürlich hat unsere Genetik zum Teil Einfluss darauf, wie wir auf Krisen reagieren. Doch vor allem unsere eigenen Lebenserfahrungen und die dazugehörigen Bewertungen und Glaubenssätze (zum Beispiel „never not running“) haben Einfluss auf unsere künftigen Erwartungen. Je nachdem, wie wir eine Krise erlebt haben, können sich für die Zukunft bestimmte neue Glaubenssätze manifestieren. Wenn wir gelernt haben, dass wir Krisen meistern können, dann unterstützt uns das auch bei extremen sportlichen Herausforderungen. Nicht ohne Grund haben so viele erfolgreiche Triathleten eine ganz besondere Lebensgeschichte zu erzählen.


Daniela Dihsmaier ist Sport Mental Coach und systemischer Coach & Beraterin für Persönlichkeits- und Organisationsentwicklung. In ihrem Buch „Brutal Mental – Mentale Stärke ist mehr als nur Siegerdenken“ hat sie zudem ihr gesammeltes Wissen aufs Papier gebracht. freiwasser.com


			

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