Rennen sind das Salz in der Suppe

Wettkämpfe sind für Profi-Sportler wichtig, keine Frage, dennoch hat sich Profi-Triathletin Verena Walter auch sonst dieses Jahr einiges einfallen lassen, damit sie sportliche Herausforderungen meistern konnte und die Motivation zu trainieren, hoch war. Was das alles war, könnte ihr im Interview nachlesen.

Verena, wir haben gesehen, dass du in den letzten Monaten trotz Corona sportlich sehr aktiv warst und dir einiges einfallen hast lassen, damit dir die Trainingsmotivation auch in der Saison 2020 nicht abhanden kommen konnte. Lass uns vorne anfangen. Du bist im April ein Rennen auf Zwift gefahren. Was ist von diesem Event bei dir hängen geblieben und sind virtuelle Rennen für dich eine Alternative zu „richtigen“ Wettkämpfen?

Zu Beginn der Corona-Zeit ergab sich durch die neu ins Leben gerufene Zwift Pro Tri Race Series die Möglichkeit, wieder Wettkampfluft zu schnuppern – zwar nur virtuell – aber immerhin. Da ich begeisterte Zwift-Fahrerin bin, habe ich mich angemeldet und war gespannt, wie es ist, mit den anderen Top-Mädels, die ich sonst von realen Wettkämpfen kenne, ein reines Radrennen aus dem Wohnzimmer heraus zu fahren. Das Rennformat hat natürlich nichts mit Triathlon zu tun und auch die kurze Distanz von 24 km kam mir nicht entgegen. Aber warum nicht einmal etwas Neues ausprobieren? Kurz nach dem Startschuss hatte ich schon die Spitzengruppe verloren und ich hatte auch keine Chance mehr, diese wieder einzuholen. Von wegen Renneinteilung! Die ersten Meter sollte man reintreten was geht, das habe ich daraus gelernt. Am Ende des Rennens wurde ich 36. von 55 Athletinnen. Ich hatte für den restlichen Tag einen dicken Kopf und war völlig fertig. Natürlich sind solche virtuellen Rennen nicht vergleichbar, da noch zu große Unterschiede im Equipment vorhanden sind. Außerdem sind die Regeln (z.B. Thema Gewichtsdoping) noch nicht eindeutig definiert und können auch nicht kontrolliert werden. Das Thema steckt noch in den Kinderschuhen, hat aber sehr großes Potential. Eine Alternative zu realen Rennen ist es für mich nicht, aber eine abwechslungsreiche Ergänzung für die Wintermonate.

Im Mai hast du auf deinem Zeitfahrrad eine Sauerlandumrundung gestartet. 354 km am Stück und 4.400 hm? Wie kamst du auf diese Idee und wie hast du alles organisiert? Und wäre Ultracycling auch etwas für dich?

Diese Idee hatte ich schon seit einigen Jahren. Doch irgendwie war sie in Vergessenheit geraten. Durch die Strava-Aufzeichnung von Boris Stein, der einmal um den Westerwald gefahren ist (348 km, 2.650 hm) kam sie mir wieder in Erinnerung. Ich arbeitete meine Strecke einmal um meine Heimat, das Sauerland, aus und mein Freund sollte mich mit dem Auto begleiten. Ich bin die Route ohne großen Druck gefahren und habe Mittags eine lange Pause gemacht, in der ich mich ausreichend verpflegt habe. Die 4.400 Höhenmeter habe ich auf der Länge von 354 km gar nicht so gespürt. Nur zum Ende hin kamen noch ein paar giftige Anstiege, die mich auch ziemlich platt gemacht haben. Den letzten steilen Anstieg musste ich in Schlangenlinien im Wiegetritt hochfahren, da ging nichts mehr. Dies war bis jetzt meine längste Radtour. Sollte es irgendwann einmal noch länger werden, muss ich mir eine Verpflegungsstrategie überlegen. Denn nach circa 10 Stunden bekam ich Probleme mit der Nahrungsaufnahme. Ich bin mir nicht sicher, ob Ultracycling etwas für mich ist. Bis jetzt habe ich immer da aufgehört, wo Ultracycling beginnt. Aber mich interessiert dieses Thema definitiv.

Triathletin Verena Walter bei ihrer Everest-Challenge auf dem Fahrrad

Ein paar Wochen später fiel der Startschuss für ein weiteres Projekt: Laufend wolltest du den Ruhrtalradweg und damit 232,6 Kilometer in sechs Tagen bezwingen. Wie war das für deinen Kopf und vor allem für die Beine?

Um das Projekt musste ich bei meinem Trainer erst mal kämpfen. Er ist von meinen „Ultra“-Ideen nie so richtig begeistert, weil er Angst hat, dass ich mich überlaste und verletze. Eigentlich wollte ich nur fünf Lauftage dafür veranschlagen. Ich habe mich aber überzeugen lassen und das Projekt auf sechs Tage ausgedehnt und sogar zwei lauffreie Tage eingebaut. Das Laufen war ja aufgrund von verschiedenen Verletzungen in den vergangenen Jahren immer wieder ein Problem für mich und ich war selbst skeptisch, wie ich diese enorme Belastung verkraften würde. Noch nie war ich in meiner sportlichen Laufbahn einen so hohen Umfang gelaufen. Der Lauf hat riesengroßen Spaß gemacht. Ich finde es toll, einer Route zu folgen und immer wieder Neues zu entdecken an der Strecke. Die Beine wurden natürlich schon sehr müde über den Tag und die Ruhetage waren auch wertvoll. Für den Kopf war es auch ein gutes Training für die Langdistanz ab Kilometer 35, wenn die Beine auch nicht mehr wollen und einem alles weh tut. Am Ziel am Rheinorange in Duisburg anzuschlagen, war ein emotionaler Moment. Dieses Erlebnis möchte ich nicht missen!

Am 20. September konntest du recht spontan eine Triathlon-Langdistanz bestreiten und sogar gewinnen. Glückwunsch zum Sieg in Podersdorf. Eigentlich hattest du das Thema Rennen in dieser Saison schon abgeschrieben und hast dich nicht spezifisch auf diesen Wettkampf vorbereitet. War das ein Vorteil, weil du entspannter ins Rennen gegangen bist und einfach nur Lust hattest, endlich wieder richtig Triathlon zu machen?

Die Möglichkeit in Podersdorf zu starten, kam relativ spontan. Eigentlich Triathletin Verena Walter siegt bei der Langdistanz in Podersdorfwar ich kurz davor, mich der Everesting-Challenge zu stellen. Doch endlich wieder ein Rennen, dazu noch eine Langdistanz, machen zu können, war zu verlockend. Ich hatte schon noch genügend Zeit für eine spezifische Vorbereitung. Rund fünf Wochen blieben mir, um mich so gut es geht auf diesen äußerst flachen Kurs vorzubereiten. Da ich ja gut im Training war, empfand ich diese Zeitspanne als optimal. Ich hatte allerdings immer Angst, dass das Rennen doch noch in der letzten Sekunde abgesagt würde. Beim Rennen lief es sehr gut für mich, auch das Wetter war perfekt. So konnte ich mit einer neuen persönlichen Bestzeit gewinnen. Besser hätte es kaum laufen können und das ganze Training über das Jahr hin hatte sich ausgezahlt.

Kaum erholt, stand zehn Tage später schon wieder ein sportliches Highlight an. Die Everesting-Challenge. Um was ging es da genau und jetzt mal ganz ehrlich, 52x ein und denselben Berg hochfahren, bekommt man da nicht schlechte Laune?

Nach dem Rennen, dachte ich: „Jetzt oder nie!“ Das Wetter versprach noch einmal richtig schön zu werden und wenn ich in diesem Jahr noch ein Everesting machen wollte, dann so schnell wie möglich. Denn das Tageslicht nimmt rapide ab. Und wer möchte schon gerne im Dunkeln fahren? Die Challenge gibt es schon lange, erfährt aber gerade wieder einen Aufschwung. Die Regeln sind einfach: Man muss die 8848 Höhenmeter des Mount Everest an nur einem Anstieg in einer Tour fahren. Dieser kann beliebig gewählt werden und somit kann die Challenge weltweit und zeitunabhängig durchgeführt werden. Zwischendurch schlafen ist verboten, kleine Pausen zur Verpflegung natürlich erlaubt. Wichtig ist die Datenaufzeichnung der Tour, um diese später in der Hall of Fame auf der Website hochzuladen. Ich hatte großen Respekt und auch etwas Angst vor dieser Herausforderung. Zum Glück fand ich mit Nele Dönneweg und Nadja Kuhn spontan noch zwei Mädels, die sich ebenfalls dem Abenteuer stellen wollten. Das war mental schon mal ein großes Plus. Zu wissen, da quälen sich noch Zwei auf der Strecke, macht die Sache immens einfacher. Ich bin sehr verhalten losgefahren. Mein gewählter Anstieg war auch nicht so steil – im Schnitt 6 Prozent – was die Beine etwas schonen sollte. Doch dafür mussten wir natürlich mehr Kilometern fahren. Diese beliefen sich auf stolze 318 km. Schlechte Laune gab es an diesem Tag nicht. Es hat richtig viel Spaß gemacht, zumal spontan so viele Leute an und auf die Strecke kamen, die uns unterstützt haben. So wurde es zu keinem Zeitpunkt langweilig. Einen Einbruch, wie ich ihn eigentlich erwartet hatte, gab es nicht. Ich hätte noch gut weiterfahren können. Doch die einsetzende Dunkelheit (morgens waren wir bereits ab 5 Uhr im Dunkeln gestartet) und die Kälte zum Abend hin, bewogen mich dann doch dazu, nicht noch die 10.000 Meter voll zu machen. Man muss sich ja noch Ziele offen lassen. Viel mentale Stärke war da bei mir gar nicht gefordert, dafür aber um so mehr bei den Mädels. Sie hatten ja erst fünf Tage zuvor von meinem Vorhaben erfahren und spontan zugesagt. Eine gute Vorbereitung schaut anders aus. Die beiden lagen zehn Wiederholungen hinter mir, während ich um 20:15 Uhr bereits fertig war. Sie kämpften weiter in der Dunkelheit um dann endlich um 0:15 Uhr die Challenge erfolgreich zu beenden. Ich bin stolz auf die beiden.

Brauchst du künftig überhaupt noch Wettkämpfe oder fällt dir immer eine eigene sportliche Challenge ein, die dich antreibt und die dich glücklich macht?

Ein chaotisches Jahr reicht mir erst einmal. Es wäre schön, wenn in 2021 die Rennen wieder nach Plan laufen. Triathlon bleibt vorerst meine Hauptdisziplin. Und um Triathlon zu machen, braucht es einfach die gut organisierten Rennen. Die sind durch nichts zu ersetzen. Natürlich macht Sport auch ohne Wettkämpfe Spaß, aber sie sind das Salz in der Suppe. Mein Ziel für 2021 wäre, mindestens wieder so leistungsfähig zu werden und überwiegend verletzungsfrei zu bleiben, wie in diesem Jahr. Über spezielle Rennen mache ich mir noch keine Gedanken, das wäre vergeudete Zeit.

Danke für das Interview, Verena und alles Gute weiterhin.

 

Interview: Meike Maurer

Fotos:
Austria-Triathlon / Nino Jonas
Everesting / Jörg Riese, www.jorics.de