Susa talk:
Warum eine Anamnese wichtig ist

Auf was ihr unbedingt achten solltet, wenn ihr euch einen Traingsplan von einem Coach erstellen lasst – denn viele Faktoren beeinflussen die Gestaltung eines individuellen Plans.

Viele Wege führen nach Rom – der Satz trifft häufig zu – auch im Training. Pläne gibt es zum Beispiel standardisiert zum Download im Netz, ausgerichtet auf ein bestimmtes Ziel. Arbeitet jedoch ein Trainer/in persönlich mit einer Athletin wird deutlich mehr berücksichtigt, als nur das Wettkampfdatum. Die Betreuung beginnt im Normalfall mit einer allgemeinen Anamnese, die sehr umfangreich sein sollte, weil sie das persönliche Profil der Sportlerin festlegt und damit enorm Einfluss auf die Erstellung des Trainingsplans hat. Die beste Trainingsstruktur nützt nichts, wenn sie nicht zur Struktur der Athletin passt. Wichtig ist, dass der Trainigsplan zum Alltag passt und nicht umgekehrt.

Athlet_Trainer_Trainingsplan
Biologisches Alter und Trainingsalter
Die Anamnese beginnt mit dem Alter – sowohl dem biologischen, als auch dem Alter im Sport – sprich den Jahren, die man bereits trainiert. Grundsätzlich spielt das biologische Alter im Ausdauersport nicht die wichtigste Rolle: bis ins hohe Alter kann sehr gute Leistung erbracht und auch weiter aufgebaut werden. Der deutlich größere Unterschied liegt bei älteren Athleten und Athletinnen in der Regenration, die bereits ab dem 30. Lebensjahr etwas verzögert abläuft und daher einen hohen Stellenwert in der Gestaltung von Be- und Entlastung haben sollte.
Die bereits abolvierten Trainingsjahre deuten an, wieviel Potential zur Veränderung noch gegeben ist. Allerdings ist dies je nach Qualität des bisherigen Trainings individuell verschieden. Die Jahre im Sport legen aber auch fest, in wieweit die Inhalte im Training (Qualität, Umfang, Intensität, …) gestaltet werden können.
Zur Erstellung individueller Trainingspläne ist es daher wichtig, dass möglichst genaue und ausführliche Informationen zur sportlichen Vergangenheit, dem bisherigen Training, den gewünschten Zielen, dem Zeitbudget und auch der beruflichen und privaten Situation vorhanden sind. Je mehr Informationen gesammelt wird, umso genauer kann geplant werden.

Berufliche Situation
Den Trainer sollte es auch interessieren, welchen Beruf die Sportlerin ausübt! Warum? Eine Tätigkeit kann sowohl geistig wie auch körperlich locker, oder auch sehr anstrengend sein. Sie kann im Sitzen oder im Stehen, verbunden mit viel oder kaum Bewegung ausgeübt werden – das beeinflusst ein Training, das abends nach einem Arbeitstag absolviert wird. Ganz entscheidend ist natürlich auch die zeitliche Belastung des Jobs und ob beispielsweise geschichtet wird – an dieser Stelle beginnt häufig die Diskussion, ob zum Beispiel eine Langdistanz im Rahmen des Möglichen liegt oder nicht.

Private Situation
Wenn ich in meiner Arbeit als Trainer einen ausgefüllten Anamnesebogen einer Sportlerin/Sportlers bekomme, die/der angibt Familie zu haben, aber gleichzeitig das Wochenende zur komplett freien Verfügung für Training angibt, dann schicke ich den Bogen im Normalfall zurück und frage nach, ob an dieser Stelle nicht besser feste Zeiten für die Familie eingeplant werden sollten. Tut man dies nicht, ist die Gefahr, dass der Partner und die Kinder wenig Gefallen am Hobby der Sportlerin/Sportlers finden. Schnell kann der sportliche Ausgleich zum Egotrip werden. Also besser vorher zeitliche Strukturen festlegen, mit denen der Trainer dann arbeiten kann, ohne dass jemand/etwas vernachlässigt wird. Natürlich ist es für den Trainer schön, wenn im Urlaub trainiert werden kann oder die freien Tage sogar für ein Trainingslager genutzt werden können. Aber auch hier sollten Prioritäten immer wieder neu gesetzt und variiert werden. Manchmal ist es auch von Vorteil, ganz ohne Plan in den Urlaub zu fahren und die Bewegung “nur” in Form von Schwimmen im Meer oder Wanderungen mit der Familie einzubauen.
Auch Hobbies neben dem Sport oder Vereinstätigkleiten ect. sollten bei der Trainingsplanung berücksichtigt werden, denn sie kosten Zeit und jeder Tag, hat egal ob für Alltag, Training oder Regenration nur 24 Stunden zur Verfügung.

Sportliche Vergangenheit
Interessant wird es immer, wenn man in die Vergangenheit der Sportlerin blickt: auch andere Disziplinen können förderlich für die Ausübung der aktuellen Sportart sein und verändern meist im positiven Sinne die Ausgangsbedingungen und die Möglichkeiten für den Trainer: viele Frauen haben in Ihrer Vergangenheit zum Beispiel geturnt: die Beweglichkeit, Stabilität und Athletik sind dadurch meist auf einem sehr hohen Niveau. Auch die Koordination hinsichtlich Lauf-ABC oder die Stabilität im Wasser hinsichtlich Wasserlage ist dadurch verbessert und man steigt in diesem Bereich bei weitem nicht bei Null ein. Das aktuelle Sportprogramm – auch neben der Hauptdisziplin – gibt unter anderem Aufschluss, wie belastbar die Athletin ist und welche Ausgleich- und Alternativdisziplinen sich gegebenenfalls zum Beispiel in der Übergangzeit ergänzend anbieten.

Gewünscht und erwartet vom Plan wird meist: VIEL — in jeder Hinsicht. Doch muss an dieser Stelle zuerst ein Blick auf die realisierten Umfänge der letzten Saison und der letzten Jahre geworfen werden. Der Übergang muss stimmen. Umfang und Intensität des Plans werden unter anderem von der Kontinuität im Training – kurz- aber auch langfristig – bestimmt, um Überlastungen und Verletzungen vorzubeugen.
Grundsätzlich gilt: zwar sollten die Schwächen der Sportlerinnen im Coaching verbessert, aber niemals die Stärken vernachlässigt werden. Dazu muss der Trainer diese aber erst kennen. Neben den Messmethoden, die im zweiten Teil zu diesem Thema vorgestellt werden, dient auch hier die Befragung/Anamnese. Gleichzeitig gibt es einen Einblick in die Selbsteinschätzung der der Athletinnen.

Zielsetzung
Heikel wird es manchmal in der Befragung bezüglich der kurz- und langfristigen Ziele. Denn die Zusammenarbeit zwischen Athletin und Trainer macht nur Sinn, wenn an dieser Stelle offen und ehrlich kommuniziert wird. Schon vor den Messungen und Analysen im Labor, kann ein guter Trainer einschätzen, ob die Erwartungen und Ziele realistisch sind und muss – um keine falschen Hoffnungen und am Ende Enttäuschungen zu wecken – auch klar aussprechen, wenn diese zu hoch angesetzt sind. Daher sollten sowohl zurückliegende Leistungen gründlich analysiert beziehungsweise der aktuelle Status durch zum Beispiel eine Leistungsdiagnostik überprüft werden.

Wettkampfkalender
Zu Diskussionen führt häufig der Wunschwettkampfkalender vieler Sportlerinnen: im Winter und auf dem Papier ist die Motivation hoch und alles scheint möglich. Im Alltag in der Saison, entsteht häufig Stress oder die Wettkämpfe passen nicht richtig zu einander. Zu viele Wettkämpfe können den Fokus verschleiern und die Energie für das große Ziel schwinden lassen. Auch ist es häufig eher der Versuch, dem eigentlichen Hauptwettkampf vorzugreifen, als wirklich einen Vorteil für das Saisonhighlight zu schaffen. Nicht selten ist weniger mehr – auch hier sollte ein guter Trainer nicht einfach nur absegnen, sondern steuernd eingreifen.

Zeitbudget
Die Wünsche hinsichtlich Inhalt und Umfang des Plans kollidieren nicht selten mit dem tatsächlich realisierbaren Zeitbudget. Sich täglich morgens und abends eine Stunde Zeit für Sport zu nehmen, ist etwas anderes als zwei Tage komplett Pause zu machen, aber dafür die Möglichkeit zu haben, an manchen Tagen mehrere Stunden am Stück zu trainieren. Es ist auch ein Unterschied, ob man die Arbeit um 17:00 Uhr verlässt, um zu trainieren oder ob man täglich nach diversen Überstunden noch spät nachts im Dunkeln oder Fitnessstudio schwitzt.
Auch diesen Punkt sollte man beachten: Wird viel im Verein trainiert, wird dem Trainer das Training eigentlich bereits vordiktiert – sowohl zeitlich als auch inhaltlich. Hinsichtlich Motivation kann das Vereinstraining häufig Vorteile mit sich bringen, aber hinsichtlich der Individualität des Programms, ist es meist eine Einschränkung.

Am Ende bespricht man noch die Möglichkeiten, die sicher der Sportlerin zum Training bieten wie Fitnessstudio, Fahrräder für In- und Outdoor, Watt- und /oder Pulsmesser und auch die Trainingsumgebung – Berge, Freiwasser ect. .Das sind alles Dinge, die man im Vorfeld abklären sollte, um am Ende einen möglichst passenden, realisierbaren Plan zu erstellen.

Dabei ist immer zu beachten: Training ist individuell – versuche sowohl als Trainer, aber auch als Sportlerin nie zu kopieren oder nachzuahmen. Trainingsprinzipien dienen zur Grundlage, sind aber vor allem Theorie und müssen anhand der Anamnese und den täglichen Gegebenheiten angepasst werden. Dabei gilt: Der Plan passt sich dem Athleten an. Umgekehrt gilt dies nur bedingt. Es gibt nicht den EINEN Plan, der für Alle das Gleiche bewirkt.
Und last but not least: Nur ein ehrliches Feedback/Analyse führt zum richtigen Trainingsprogramm und dabei sind notwendige Kompromisse häufig der Schlüssel zum Erfolg und zu guten Leistunge.

In diesem Sinne – bis zum nächsten Teil meiner Serie, der sich mit den Meß-und Analysemethoden befassen wird.
Eure Susa

Susanne BuckenleiSusa Buckenlei – Diplomsportwissenschaftlerin und Trainerin. Zusammen mit meinem Kollegen Matthias Frisch betreibe ich seit nun elf Jahren das Professional Endurance Team – ein Institut für Leistungsdiagnostik, Trainingsplanung, Coaching und Events im Ausdauersport.