Esst mehr (gutes) Brot!

Brot selber backen

Michaela Renner-Schneck lebt derzeit in den USA. Sie fasst zusammen, wie der Low-Carb Trend in Amerika zu Stande kam und erklärt, warum sie sagt, dass Brot kein “böses” Lebensmittel ist.

Manchmal ist es mit dem Ausdauersport genau wie mit der Mode: Beide haben ihre Trends und diese kehren in regelmäßigen Abständen wieder. Manchmal leicht modifiziert, manchmal 1:1. Ganz häufig schwappen solche wiederkehrenden Trends dabei wie große Wellen mit etwas „Reiseverzögerung“ über den Atlantik aus den USA nach Europa herüber.

Low Carb – ein Trend aus Amerika

So gesehen hätte man sie im Grunde kommen sehen können, die Low-Carb-Ernährungswelle, die sich in den letzten Jahren erst in den USA, dann in Europa verbreitete. Im Nachhinein betrachtet folgte diese „Ernährungsmode“ einem ähnlichen Muster wie in den Jahrzehnten davor Low-Fat, High-Carb, All-Veggie, Mondkalender-Fasten oder Trennkost. Sie alle hatten ihren Ursprung in einer oder mehreren wissenschaftlichen Studien, die beim Versuch, sie in eine allgemein verständliche Sprache zu übersetzen, etwas zu stark simplifiziert wurden. Versucht, dann noch eine einschlägige (Frauen-)zeitschrift daraus eine allein-selig-machende Ernährungsrichtlinie abzuleiten und zur Steigerung des Umsatzes möglichst weit zu verbreiten, ist ein neuer Trend geboren.

Ok, an diesem Punkt könnte ich jetzt in einem seitenlangen Aufsatz vergeblich versuchen, die Frage zu beantworten, wessen Schuld das ist. Ist es die der Wissenschaftler, die die Signifikanz ihrer Studien mit extra-komplizierter Ausdrucksweise verschleiern, um ihre Ergebnisse möglichst relevant erscheinen zu lassen*, oder ist es die der Reporter, die sich nicht die Mühe, machen Studien zu hinterfragen. Aber das soll jetzt hier nicht das Thema sein.

* Unter uns: das funktioniert einwandfrei, hab ich selbst oft genug getan um an Forschungsgelder zu kommen.

Nur auf den ersten Blick logisch

Zurück also zur Low-Carb-Welle. Ich muss zugeben, als diese vor gefühlt fünf Jahren nach Deutschlang schwappte. Zunächst in einschlägigen Diät-Heftchen, dann im Ausdauersport, habe auch ich mich mitreisen lassen. Klang alles irgendwie sinnvoll. In den Wintermonaten mit viel ruhigem Grundlagentraining benötigt man ohne Frage weniger direkt verfügbare Energie als zu Wettkampfzeiten und es ist absolut einleuchtend, dass es von Vorteil sein dürfte, durch eine gezielte Anpassung seiner Ernährungsweise, den Winterspeck im Zaum zu halten. Auch die Anpassung des Low-Carb-Prinzips an die Bedürfnisse von trainierenden Athleten – kein kompletter Verzicht auf Kohenhydrate, sondern nur auf schnell verfügbare Kohlenhydrate in Form von kurz-kettigen Zuckern – schien mir logisch und zielführend.

Die Tatsache, dass mein damaliger Low-Carb-Selbstversuch, trotzdem ziemlich übers Ziel hinaus ging, lag vermutlich auch mehr an meiner Persönlichkeitsstruktur, als an dem Prinzip selbst. Trotzdem, eines hat mich – ganz unabhängig vom zweifelhaften Erfolg meines Selbstversuchs – von Anfang an irritiert:
Warum nur gehörte in den Augen der Low-Carb-Anhänger Brot auf die Liste der „bösen“ Kohlenhydrate? Direkt neben Schoko-Keksen und Cola? Und warum, um alles in der Welt, sollte der Zucker in Süßkartoffeln viel besser sein, als die verquollene, und oft sogar fermentierte Stärke in einem Bauernbrot? Für mich als Biochemiker ergab das keinen Sinn.

Brot in Amerika verdient oft nicht das Wort “Brot”

Die Antwort auf diese Frage allerdings fand ich erst kürzlich, einige Jahre und einen Umzug in die USA später. Wir, von Handwerks-Bäckereien verwöhnten Deutschen können uns nur schwer vorstellen, was in den USA als Standard-Brot gilt: Ein Toastbrot ähnliches, oft süßliches Desaster, meist noch nicht einmal mit Hefe gebacken, sondern einfach nur mit Backpulver aufgetrieben und mit allerlei interessanten Zusätzen versehen, um es möglichst lange fluffig (und für deutschen Geschmack von Anfang an „kätschig“) zu halten. Tatsächlich gleicht die Zutatenliste eines solchen Brotes auch verdächtig der, eines in ähnlicher Verpackung angebotenen Schokoküchleins. Konfrontiert mit diesem, den Namen nicht würdigen Brotes, wurde mir klar, wie es eine solche Backware auf die „rote Liste der Kohlenhydrate“ geschafft hatte. Tragischer Weise wurde diese rote Liste unbearbeitet über den Ozean exportiert, wo im Umkehrschluss auch das, was wir Europäer unter Brot verstehen, im Zuge der Low-Carb-Welle als „böse“ betrachtet wurde. Allein, handwerklich, mit Sauerteig, Vorteig usw., gebackene Brote oder Brötchen haben dies rational betrachtet absolut nicht verdient.

Selber backen

Als bekennende Brotliebhaberin habe ich also beschlossen diesen, mir unlogisch erscheinenden Brot-Bann zu ignorieren und auch weiterhin lieber ein altmodisches Butterbrot zu essen, als einen seltsamen, aber super-gesunden und „hippen“ Pseudo-Getreidebrei. Auch mein Umzug in die USA konnte an dieser Einstellung nichts ändern und so habe ich auch in den ersten Wochen hier in den USA vergeblich versucht, irgendwo eine Bäckerei zu finden, in der ich ein leckeres Brot bekommen könnte. Vergeblich – und schließlich habe ich mich der Erkenntnis gefügt, dass ich wohl oder übel würde lernen müssen, mein eigenes Brot zu backen (hier geht’s zur Michis Brot-Galerie). Durch diesen noch immer andauernden Lernprozess habe ich auf jeden Fall in den vergangenen Monaten einiges über das uralte Lebensmittel Brot und seine Herstellung gelernt – und mit jedem gelungenen frischen Laib, den ich dabei aus dem heimischen Ofen zog, bestätigte sich die Erkenntnis, dass es sich bei echtem Brot, um ein hochwertiges, vielseitiges und absolut bekömmliches Lebensmittel handelt. Mehr noch: um ein Stück deutsches Weltkulturerbe (ja, im Ernst, die deutsche Brotkultur ist immaterielles UNESCO Weltkulturerbe) – und zwar eines das obendrein fantastisch schmeckt. Mein Fazit: Wenn ein Ernährungskonzept rät, Brot pauschal vom Speiseplan zu verbannen, so ist das für mich Schwachsinn! ***

***Eine kleine Einschränkung dieser Behauptung mögen Zölliakie-Patienten notwendig machen, aber das betrifft nur einen sehr geringen Teil der Bevölkerung – ok, vielleicht einen etwas größeren Teil, wenn man all die Lifestyle-Gluten-Unverträglichkeiten miteinrechnet… 😉

Angesichts dieser, meiner tiefen Überzeugung, könnt ihr euch jetzt eventuell meine fast diebische Freude vorstellen, als ich neulich in einer US-amerikanischen Rad-Zeitschrift**** auf einen Artikel mit dem Titel stieß: „Choose bread ! How this chewy, delicious carb makes you faster.“ Der Inhalt sagte ungefähr das aus, was ich hier gerade geschrieben habe: Erstens: Europäisches Brot ist was anderes als US-amerikanische Standard-Knautsch-Laibe, ein handwerklich hergestelltes Brot ist in der Tat ein „go-to-food“ für Ausdauersportler.
Zweitens: Brot schmeckt außerdem klasse und kommt unzähligen Varianten daher …
Was noch mehr zu meiner Freude über diesen Artikel beitrug, war außerdem die Tatsache, dass ich bereits einige Woche vorher über einen ähnlichen Artikel in einer US-Frauenzeitschrift gestolpert war. Wie war das noch gleich mit den Ernährungstrends? Erst US-(Frauen)zeitschrift, dann Ausdauerszene und dann das gleiche in Europa …

**** BICYCLING (ISSN 0006-2073) Vol. 58 No. 8

Fazit: Gute Nachrichten also für alle europäischen Brotliebhaber: (Selbst gebackenes) Brot ist der neue Ernährungstrend aus den USA! Ihr dürft euer tägliches Brot wieder ganz ohne schlechtes Gewissen essen und dafür mit dem guten Gefühl dabei, etwas Gutes für eure Gesundheit zu tun – und um ehrlich zu sein, hoffe ich, dass ganz viele von euch das ohnehin schon immer getan haben.

Es grüßt euch ganz herzlich, die nun wieder voll im Trend liegende

Rennschnecke

 

Text und Foto: Michaela Renner-Schneck