Lipödem den Kampf ansagen

Antonia Gust hat ihrer Krankheit Lipödem den Kampf angesagt

Antonia Gust ist studierte (Opern-)Sängerin und Gesanglehrerin. Allerdings orientiert sich die 40-Jährige gerade komplett um. Ihr „neues“ Leben nachdem sie der Krankheit Lipödem den Kampf angesagt hat, hat einige gravierende Veränderungen mit sich gebracht – sportlich wie beruflich. Heute ist sie ein ganz neuer Mensch.

Ihre Stärken sind Durchhaltevermögen, Selbstkontrolle und -disziplin und ein feines Gespür für Menschen und Körper sowie mittlerweile wieder Lebenslust und Spaß. „Meine Schwächen sind eine durch jahrelange berufliche Quälerei und das Lipödem angeschlagene Psyche, die sich nur sehr langsam erholt und meine Ungeduld mit mir selbst“, weiß sie über sich zu berichten.

Erklär uns kurz, was genau die Krankheit „Lipödem“ ist und wie diese sich äußert?
Lipödem ist eine meist angeborene Fettverteilungsstörung. Die degenerierten Fettzellen lagern sich an den Gliedmaßen in der Lymphflüssigkeit ein. Dies äußert sich schleichend und bei Nichtbehandlung in einer massiven Gewichtszunahme. Mit Sport und Ernährung alleine erreicht man relativ wenig, da das gesamte Lymphsystem und damit der Stoffwechsel lahmgelegt wird. Betroffen sind fast ausschließlich Frauen. Starke Hormonschwankungen und -umstellungen wie in der Pubertät, der Schwangerschaft und in den Wechseljahren beeinflussen die Krankheit negativ. Lipödem hat vielfältige Beschwerden zur Folge, die sehr individuell sind. Die schlimmsten können massive Schmerzen in den Gliedmaßen, Atemnot und Wärmeunverträglichkeit bis hin zur völligen Erschöpfung sein. Die Krankheit ist nicht heilbar, da sie genetisch bedingt ist, aber durch konservative Therapie wie Lymphdrainage und spezielle Kompressionsbekleidung kann sie zumindest verlangsamt werden. Durch operative Verfahren besteht die Möglichkeit, nachhaltigen Symptomfreiheit zu erreichen.

So sah Antonia vor ihrer OP aus. Jetz hat die 40-Jährige ihre Leidenschaft fürs Laufen und den Triathlon entdeckt.

 

Wann und wie hast du realisiert, dass bei dir etwas nicht ganz in Ordnung ist?
Bereits in der Pubertät, besonders beim Sport, wenn man seine Beine zeigen musste und ich sie mit den anderen verglichen habe.

Du hast dich operieren lassen – was war das für ein Eingriff?
Es waren drei OPs im Abstand von jeweils einem Monat. Der erste Eingriff war im Dezember 2016 – der letzte im Februar 2017. Dabei wurde in die Beinen innen und außen sowie in die Armen zunächst eine Flüssigkeit gespritzt, die das kranke vom gesunden Fettgewebe trennt. Anschließend wird das kranke Gewebe ohne plastischen Eingriff nur durch minimale Schnitte abgesaugt. Dazu musste ich nach dem Eingriff lediglich eine Nacht stationär überwacht werden und konnte gleich danach nach Hause. Die Wunden sind, ohne dass sie genäht wurden, mit Unterstützung von Lymphdrainagen und ständiger Kompressionbekleidung sehr schnell verheilt. Alles war kaum mit Schmerzen verbunden, die Erleichterung überwog deutlich, obwohl es großflächige Eingriffe waren und man das in Etappen durchführen muss.

Wann hat bei dir ein Umdenken zu mehr Sport und einem gesünderen Lebensstil begonnen?
Dadurch, dass ich einen sehr anstrengenden Beruf hatte, schon lange, aber es hatte nie die gewünschten Auswirkungen auf meine Gesundheit und mein Aussehen gehabt, da ich auch bis ein Jahr vor den OPs nicht wusste, dass ich krank bin. Wenn man keine Lösung findet, gibt man irgendwann auf und denkt, „mein Körper ist einfach so“.

Du hast in nur einem halben Jahr 35 Kilogramm abgenommen. Das ist Wahnsinn! Wie hast du das gemacht?
Mittlerweile sind es über 40 Kilogramm. Ich habe ernährungstechnisch bewusster und ausgewogener gegessen und die Mengen kontrolliert. Außerdem war ich eine Zeitlang bei den Weightwatchern. Aber die wesentlichste Veränderung in meinem Leben war, dass ich plötzlich einen unendlichen Drang nach Bewegung verspürte. Nach Jahrzehnten der zunehmenden Bewegungsunfähigkeit, gegen die ich immer wieder vergeblich angekämpft habe, fühlte ich mich plötzlich frei, wie ein Abiturient nach der bestandenen Prüfung. Ich habe einen unglaublichen Spaß an der Bewegung in der Natur entwickelt. Alles Schritt für Schritt, ohne mich zu überfordern. Angefangen habe ich mit Walking und mit langsamem Bergwandern, es folgten die ersten Joggingschritte und danach ein erstes Training nach Trainingsplan.

Was hat sich seitdem alles für dich geändert?
So ziemlich alles, außer dass ich nicht vergessen habe, wo ich herkomme und das auch nie vergessen werde. Neben der Gesundheit und der Freizeit hat sich mittlerweile auch der komplette Freundes- und Bekanntenkreis und sogar der Beruf verändert. Ich bin ein völlig anderer Mensch geworden und bereue es keine Sekunde lang. Ganz im Gegenteil.

Gibt es heute noch irgendwelche Einschränkungen oder Dinge, auf die du mehr achten musst, als andere?
Wegen des Lipödems nicht, aber ich lebe jetzt generell viel bewusster.

Kann das Lipödem wieder zurückkommen oder hast du Chancen, die Krankheit mit Sport dauerhaft in den Griff zu bekommen?
Darüber gibt es unterschiedliche Meinungen – zuweilen auch sehr kuriose und befremdliche. Die Klinik, in der ich operiert wurde, mit einem der erfahrensten Lymphologen, propagiert, dass die OP-Erfolge nachhaltig sind und bei einer großen Mehrzahl der Patientinnen bestätigt sich dies in Langzeitstudien. Dazu gehöre ich bislang auch. Natürlich hängt das auch davon ab, wie schwer der Erkrankungsgrad zum OP-Zeitpunkt war, aber grundsätzlich gilt: wenn das kranke Gewebe vollständig entfernt wurde, wächst auch nichts mehr nach. Mit Sport alleine, kann man die Krankheit leider nicht in den Griff bekommen.

Was sind deine sportlichen Ziele für 2019 und wie bereitest du dich darauf vor?
Einen Marathon und einen Kurzdistanz-Triathlon habe ich letztes Jahr absolviert. Das war für mich Voraussetzung, um meine Ziele für 2019 anzugehen. Gemeldet habe ich mich für die Challenge Walchsee. Eine weitere Halbdistanz plane ich für September. Vor Walchsee mache ich einige Vorbereitungswettkämpfe. Dazu zählen die Burgenländische Meisterschaft im Crosslauf und jede Menge kleinerer Halbmarathons. Im Oktober möchte ich mit meinem Mann Markus gemütlich die Saison beim Wolfgangsee Klassiker ausklingen lassen, bevor es dann in meine erste Langdistanzvorbereitung geht. Trainieren tue ich mit Unterstützung von Online-Trainingsplänen, das hat bisher immer gut geklappt.

Wie lautet deine Botschaft an alle?
Lernt, auf euch zu hören und ehrlich zu euch selbst zu sein und danach zu handeln, egal was andere sagen und bleibt dran. Sagt niemals nie! Umgebt euch mit Leuten, die euch unterstützen und es wirklich gut mit euch meinen. Testet eure Grenzen aus, lernt euch kennen und lotet aus, wozu ihr fähig seid.

Hast du Tipps in Sachen Sport und Ernährung, die bei dir geholfen haben?
Tipps für den Sport: Habt Geduld und lasst es langsam, aber zielstrebig angehen, dann verliert ihr auch nicht gleich wieder den Spaß.  Die Devise sollte sein: sich fordern, aber niemals überfordern. In Sachen Ernährung halte ich nichts von Crash-Diäten à la „du darfst dies nicht und das nicht.“ Oft hilft allein schon ein Bewusstsein für die Menge zu entwickeln, die man zu sich nimmt sowie ein Gespür dafür, was man wirklich braucht und was einem der Kopf wegen Stress oder wegen Langerweile nur vorgaukelt. Wenn man ausgewogen und mengenbewusst isst, braucht man sich keine Genüsse versagen.

Danke für das Interview, Antonia und weiterhin viel Erfolg.

Antonia hofft, dass sie ihre Krankheit Lipödem dauerhaft in den Griff bekommt.

 

 

Interview: Meike Maurer
Fotos: Kathrin Gollackner ud privat

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